Berichte von 03/2020

Fazit

22März2020

So. Nun bin ich schon seit über einem Monat zurück in Deutschland und habe mich mittlerweile wieder etwas eingelebt. Es war schön, meine Familie und Freunde wiederzusehen, aber auch etwas ungewohnt. Es war ein ganz besonderes Jahr, das ich nie vergessen werde und mich für immer geprägt hat. Ein Teil von mir wird immer in Bolivien bleiben.

Zuerst einmal möchte ich Danke sagen. Danke an alle, die ich mich dieses Jahr unterstützt haben und mir geholfen haben, meinen Traum zu verwirklichen. Mir ist bewusst, dass nicht jeder diese Chance hat und kann mich sehr glücklich schätzen, dass ich die Möglichkeit dazu hatte, ein Jahr in Bolivien zu leben.

Ich hatte jetzt etwas Zeit, um meinen Freiwilligendienst zu reflektieren. Was habe ich mitgenommen, was konnte ich bewirken?

Mir ist bewusst, dass es viel Kritik an Freiwilligendiensten gibt, da die Freiwilligen nicht "die Welt retten" können. Trotz des Titels "Entwicklungspolitischer Freiwilligendienst" handelt es sich dabei aber nicht um Entwicklungshilfe. Wir Freiwilligen sind keineswegs ausgebildet, um qualifizierte Entwicklungshilfe zu leisten und haben meist kaum Vorerfahrung. Vielmehr geht es um den gegenseitigen interkulturellen Austausch und das Lernen voneinander.

Was ich in meinem Jahr gelernt habe ist nicht nur, wie man aus PET-Flaschen Gießkannen bastelt und zu spanischen Kinderliedern tanzt. Es ist auch mehr als die Liebe zu einem Land und einer Kultur.

Ich habe meinen Horizont erweitert und sehe mich und die Welt nun mit anderen Augen.
Ich habe gelernt, mit kulturellen Unterschieden und anderen Wertvorstellungen sowie mit Herausforderungen und Konflikten umzugehen. Die Beweggründe anderer zu erkennen und zu verstehen um Vorurteile und Diskriminierung zu vermeiden.

Ich habe viel über mich selbst gelernt und darüber, dass ich in einigen Situationen anders handle und denke als andere. Das mag manchmal daran liegen, dass die anderen einen unterschiedlichen kulturellen Hintergrund haben, andere Wertvorstellungen haben oder anders aufgewachsen sind. Es kann aber auch einfach an der Person selbst liegen oder an der Situation und muss nicht immer direkt auf die Kultur zurückzuführen sein.
Kultur zu verstehen, kann manchmal hilfreich sein, um unerwartetes Verhalten anderer zu erklären. Aber andere Menschen zu verstehen, ist meist noch viel hilfreicher, als sie nur in eine Schublade zu stecken. Denn jeder Mensch denkt und fühlt anders und nicht jeder Mensch passt in die kulturelle Schublade.
Stereotypen und Klischees treffen nun mal nicht auf jeden zu und so können kulturelle Werte, die man meint, von anderen Kulturen zu kennen, auch schnell zu Vorurteilen führen. Genauso, wie nicht jeder Deutsche pünktlich ist, gibt es auf der anderen Seite auch pünktliche Bolivianer.

Ich habe gelernt, rücksichtsvoll und achtsam gegenüber anderen zu sein. Manchmal können Sätze, die gar nicht so gemeint waren, andere tief verletzen. Manchmal muss man seine Emotionen kontrollieren und nicht unüberlegt reagieren, um andere nicht zu verletzen, und stattdessen sein Verhalten anpassen. Manchmal sollte man erst an andere denken und nicht an sich selbst.

Ich habe neue Perspektiven kennengelernt. Nicht alles ist so, wie es auf den ersten Blick scheint. Manchmal muss man einen Schritt zurück treten und objektiv beobachten, um zu verstehen.
Freundlich und offen gegenüber anderen sein, auch wenn die Person es nicht erwidert. Mit Unfreundlichkeit auf Unfreundlichkeit zu reagieren bringt einen meistens nicht weiter. Freundlich sein hingegen macht dich und meist auch den anderen ein kleines bisschen fröhlicher.

Insbesondere habe ich erkannt, dass es viele verschiedene Denkweisen und Herangehensweisen gibt. Seien sie kulturell bestimmt oder nicht, überall auf der Welt wird man Leute treffen, die anders denken als man selbst und das mag einen im ersten Moment überfordern. Aber ich habe lernen dürfen, dass keine Mentalität richtig oder falsch, besser oder schlechter ist. Natürlich hat jede Lebensweise Vor- und Nachteile. Doch man kann soviel daraus lernen und ich bewundere Menschen, die ganz anders leben als ich und für die Situationen ganz normal sind, mit denen ich komplett überfordert wäre.

Gleichzeitig sollen Freiwillige auch umgekehrt den Menschen aus unserem Gastland einen Einblick in unsere Kultur vermitteln und somit die Völkerverständigung und die globale Zusammenarbeit zu fördern.
Die Arbeit, die ich in meinem Projekt geleistet habe, hätte theoretisch auch ein bolivianischer Freiwilliger leisten können. Auf Kinder aufpassen und ihnen bei den Hausaufgaben helfen, dafür war ich genauso wenig qualifiziert wie Bolivianer*innen ohne Ausbildung. Aber ich hoffe, ich konnte den Kindern etwas mitgeben. Ihnen von Deutschland erzählen und von anderen Ländern, ihnen vermitteln, dass es mehr gibt als nur La Paz. Aber auch klarstellen, dass auch in Europa nicht immer alles Friede-Freude-Eierkuchen ist und auch hier Dinge schief laufen. Dass ich nicht mehr oder weniger wert bin als sie, nur, weil ich aus Deutschland komme. Dass ich ein ganz normaler Mensch bin, genau wie sie. Und ich hoffe, ich konnte sie darin bestärken, an ihren Träumen festzuhalten.
Aber nicht nur in meinem Projekt, auch in meiner Gastfamilie und mit Freunden konnte ich mich austauschen. Neues Lernen und Dinge weitergeben, Vorurteile widerlegen und Perspektiven wechseln.

Vor allem aber bin ich dankbar. Dankbar darüber, dass ich dieses Auslandsjahr machen konnte, dass ich diese Einblicke erhalten habe und all dies lernen durfte. Die Arbeit mit ärmeren Menschen hat mir vor Augen geführt, wie privilegiert wir sind. Welche Freiheiten wir haben, selbstständig über unser Leben und unser Schicksal entscheiden zu können. Dass wir mit unserem Pass hinreisen können, wohin wir wollen. Dass wir so gut abgesichert sind und immer jemand dort sein wird, der sich um uns kümmert, wenn es uns schlecht geht. Dass wir keine Angst vor Krisen oder Krankheiten zu haben brauchen. Dass uns die Welt offen steht.
Dafür bin ich wirklich dankbar und sehr froh und ich wünsche mir, dass jeder Mensch diese Gelegenheit in seinem Leben hat. Dass jeder Mensch die Möglichkeit hat, seine Träume zu erfüllen und sein Leben selbst in die Hand zu nehmen.
Ich weiß, dass das eine sehr utopische Vorstellung ist und ich das alleine nicht erreichen kann. Aber ich möchte mich weiter dafür einsetzen, die globale Entwicklung zu fördern und mit meinen Mitteln helfen, wo ich kann.

Mit diesen Worten schließe ich diesen Blog ab. Danke, dass ihr meine Erlebnisse verfolgt habt und ich hoffe, es hat euch gefallen und ihr konntet auch etwas dazu lernen. Vielleicht habt ihr durch meine Erzählungen auch ein bisschen euren Horizont erweitert.

Vielen Dank und ganz liebe Grüße!
Leona;)