Berichte von 10/2019

Wahlausgang in Bolivien

30Okt2019

Wie ihr vielleicht in den Nachrichten mitbekommen habt, ist die politische Situation in Bolivien gerade sehr unruhig.

Am Sonntag, den 20.10, haben hier in Bolivien die Präsidentschaftswahlen stattgefunden. Dabei war die große Frage, ob bisheriger Präsident Evo Morales erneut zum Präsidenten gewählt werden würde, oder nicht. Die Wahlergebnisse haben für große Empörung gesorgt.

Wenn ihr Genaueres zum Wahlausgang und zu Evo Morales wissen möchtet, kann ich folgende Artikel empfehlen, die die Situation deutlich besser zusammen fassen, als ich es könnte:

"Bolivien hat 'Nein' gesagt" - Spiegel

"Rätselhafte Teilergebnisse in Bolivien lösen Proteste aus" - Spiegel

"Bolivien sagt Nein" - Zeit

"Morales droht eigenem Land mit Belagerung" - Frankfurter Allgemeine

Seit über  einer Woche gehen viele Bolivianer nun immer wieder auf die Straße, um für ihre Demokratie zu kämpfen.
Täglich protestieren tausende Menschen mit der bolivianischen Flagge vor wichtigen Gebäuden der Regierung, um ihre Wut zum Ausdruck zu bringen. Es werden auch wichtige Straßen blockiert und somit der Verkehr in der Stadt lahmgelegt. Leider bleiben die Proteste nicht friedlich, es kommt häufig zu Ausschreitungen und Randalen in der Konfrontation mit Regierungsanhängern.

Mir und den anderen Freiwilligen geht es gut. In der ersten Woche fanden die Proteste nur im Zentrum statt und man hat außerhalb gar nichts davon mitbekommen, sodass ich ganz normal zur Arbeit gehen konnte. Seit letztem Wochenende sind die Blockaden und Proteste nun auch in der Zona Sur, in meiner Nähe. Deshalb wurden wir gebeten, das Haus aus Sicherheitsgründen nicht zu verlassen und nicht zur Arbeit zu gehen. Solange man sich aber von den Demonstrationen fernhält, droht uns bisher keine Gefahr.

Ich fühle mich hier im Haus sicher und bekomme von außen kaum etwas mit. Auch in den Nachrichten und sozialen Netzwerken sind die Informationen sehr durcheinander, sodass ich leider keinen Überblick über die Ereignisse habe.

Ich kann sehr gut nachvollziehen, dass die Menschen frustriert sind und ihre Wut zum Ausdruck bringen wollen. Trotzdem hoffe ich, dass eine Lösung gefunden wird und die Situation sich bald wieder beruhigt.

Ich werde euch berichten.

Liebe Grüße
Leona

Leben in zwei Gastfamilien

27Okt2019

In letzter Zeit war bei mir nicht so viel los, von dem ich berichten könnte.
Im August habe ich meine Gastfamilie gewechselt und fühle mich sehr wohl in meinem neuen zu Hause, weshalb ich die Zeit der letzten drei Monate viel mit ihnen verbracht habe und nicht mehr gereist bin. Es ist auch mal ganz schön, eine Weile hier in La Paz zu verbringen und die Zeit hier zu nutzen, um Kontakte aufzubauen.

Dass ich meine Gastfamilie wechseln musste, lag nicht daran, dass ich Probleme in meiner ersten Familie hatte. Allerdings ist meine ehemalige Gastschwester im Juli von ihrem Auslandsjahr in der Schweiz wiedergekommen und es gab keinen Platz mehr für mich, weshalb ich umziehen musste.

Für mich war das aber kein Problem, da ich mich mit meiner neuen Familie super verstehe und mich sehr wohl fühle. Außerdem hatte ich so die Chance, nochmal ganz andere Facetten des bolivianischen Familienlebens, sowie eine andere Zone und somit auch eine andere Perspektive kennenzulernen.

In meiner ersten Gastfamilie habe ich gemeinsam mit meinen Gasteltern und meinem 12-jährigen Gastbruder in einer kleinen Wohnung in Sopocachi gewohnt.
Bis Anfang des Jahres hatte die Familie noch in Cochabamba gelebt; da mein Gastvater aber einen wichtigen Rang beim Militär belegt und nach La Paz verlegt wurde, musste die gesamte Familie umziehen. Dieser spontane Umzug war noch deutlich zu spüren: Auf die Schnelle hatten sie nur eine kleine Wohnung statt, wie zuvor in Cochabamba, ein großes Haus gefunden und mussten sich erst einmal mit dem wenigen Platz arrangieren. Außerdem hat meine Gastmutter nicht so schnell eine Arbeit in La Paz finden können und musste zunächst weiterhin in Cochabamba arbeiten, weshalb sie nur alle zwei Wochenenden zu uns nach La Paz kam.

Mein Gastvater und mein Gastbruder sind unter der Woche sehr früh los und kamen meist gegen 19 Uhr nach Hause. Manchmal haben wir noch zusammen zu Abend gegessen, meistens sind die beiden aber erschöpft in ihren Zimmern verschwunden, sodass wir uns in der Woche kaum gesprochen haben. Das Wochenende diente für sie zur Erholung von der anstrengenden Arbeits-/ Schulwoche, weshalb sie es am liebsten im Bett beim Fernsehgucken verbrachten. Ab und zu wurde noch etwas unternommen, wie auf den Markt zu gehen oder mit meinem Gastbruder zur Nachhilfe zu fahren. Manchmal hat meine Gastmutter auch etwas gekocht oder wir sind zusammen Mittagessen gegangen.

Aufgrund der sehr ruhigen Wochenenden meiner Familie, die sie am liebsten im Bett verbrachten, habe ich häufiger eigenständig etwas mit Freunden unternommen, anstatt alleine in meinem Zimmer zu sitzen. Dadurch konnte ich leider keine enge Bindung zu meiner Gastfamilie aufbauen. Ich hatte allerdings auch nicht das Gefühl, dass von ihrer Seite großes Interesse bestand, weshalb ich mich mit unserem oberflächlichen Verhältnis zufrieden geben musste.

Zu Beginn unseres Auslandsjahres wurden wir darauf vorbereitet, dass für viele Bolivianer die Familie sehr wichtig ist und besonders am Wochenende immer zusammen gegessen wird. Außerdem soll es in vielen Familien unüblich sein, sich zurückzuziehen und seine Zimmertür zu schließen. Deshalb hat es mich anfangs verwundert, dass meine Gastfamilie mir gegenüber sehr verschlossen war und immer bei geschlossener Tür in ihrem Zimmer Fernsehen schaut.
Mit der Zeit habe ich aber erkannt, dass eben nicht jede bolivianische Familie gleich ist und diese Familie einfach nicht die "Klischees" erfüllt.

Meine neue Gastfamilie ist ganz anders. Ich lebe nun mit meinem neuen Gastvater, zwei Gastbrüdern (15 und 17) und einer Gastschwester (22) zusammen. Meine älteste Gastschwester (26) lebt mit ihrem Mann und ihrem 2-jährigen Sohn zusammen und kommt immer an den Wochenenden vorbei. Die Eltern meiner Gastgeschwister sind getrennt, allerdings sind die Jungs jedes zweite Wochenende und auch zwei Tage unter der Woche bei ihrer Mutter.
Wir wohnen in einem Haus mit einem sehr schönen Garten. Mein Zimmer liegt allerdings nicht im Haus, sondern in einer kleinen "Gartenhütte", in der sich auch die Garage und die Wäschekammer befinden. Dadurch bin ich etwas abgelegen vom Rest der Familie und habe, wenn ich will, meine Privatsphäre um mich zurückzuziehen.

Unter der Woche frühstücken wir alle zusammen, bevor sich jeder auf den Weg zur Arbeit/ Schule/ Uni macht. Zum gemeinsamen Mittagessen kann ich leider nicht nach Hause kommen, da ich über eine Stunde zur Arbeit brauche, aber abends setzen wir uns öfter noch kurz zusammen, trinken einen Tee und erzählen von unserem Tag. Wie viele bolivianische Familien haben wir eine Haushaltshilfe, die in der Woche für uns kocht und das Haus putzt.
Am Wochenende gehen wir meistens essen oder jemand kocht zu Hause. Dabei haben wir oft Besuch: von meiner ältesten Gastschwester und ihrer Familie, von Freunden meines Gastvaters oder von anderen Familienmitgliedern. Deshalb ist eigentlich immer was los. Oft unternehmen wir auch etwas zusammen: gehen ins Fußballstadion (meine Familie ist großer Fan vom Verein "Tigre"), ins Kino oder zu einer Veranstaltung in der Schule meiner Gastbrüder.

Mein Gastvater ist Arzt und arbeitet deshalb sehr viel, trotzdem versucht er immer, für uns da zu sein. Mit ihm kann man außerdem super interessante und reflektierende Gespräche führen, da er sehr gebildet ist und viele verschiedene Perspektiven kennt und versteht. Er ist generell sehr offen und kann sich gut in andere hineinversetzen. Mit meinen Gastgeschwistern verstehe ich mich auch sehr gut, manchmal unternehmen wir etwas zusammen oder unterhalten uns über alles mögliche.
Ich fühle mich wirklich wie ein Teil der Familie und bin sehr dankbar, dass sie mich so in ihre Familie aufnehmen.

 Mit meiner ersten Gastfamilie habe ich in Sopocachi gewohnt. Sopocachi liegt im Zentrum nahe der Innenstadt, wodurch alles gut und schnell zu erreichen ist. Ich würde es als das "Szeneviertel" von La Paz bezeichnen. Es gibt viele hippe Cafés und Restaurants und ist eher von der Mittel- und Oberschicht bewohnt, auch von vielen Europäern. Trotzdem liegt es nicht abgegrenzt von anderen Gesellschaftsgruppen.

Jetzt lebe ich in Irpavi, einem Viertel in der Zona Sur. Die Zona Sur liegt im Süden etwas abgegrenzt vom Rest der Stadt und wird von der Ober- und Mittelschicht bewohnt. Sie unterscheidet sich sehr deutlich vom Zentrum La Paz´. Die Geschäfte und Restaurants sind teurer, es gibt zahlreiche europäische und US-amerikanische Marken und importierte Waren und es lassen sich viele westliche Trends erkennen.
Irpavi liegt zwar deutlich abgelegener als Sopocachi und ich brauche sowohl ins Zentrum, als auch zur Arbeit wesentlich länger als zuvor, dafür ist es hier allerdings sehr viel ruhiger, grüner und auch wärmer.

Für mich ist es sehr interessant, diesen Kontrast zwischen den verschiedenen Stadtteilen und auch verschiedenen Gesellschaftsschichten zu beobachten, zwischen Moderne und Tradition. Und obwohl sie so unterschiedlich sind, ist es beides ein Teil Boliviens, ein Teil der Kultur und der Lebensweise und ich bin froh, beide Facetten kennenlernen zu können.

Blick aus dem Fenster in SopocachiBlick aus dem Fenster in Irpavi

Ich versuche, die letzten Monate mit meiner Gastfamilie zu genießen, denn in vier Monaten komme ich schon wieder zurück nach Deutschland. Die Zeit vergeht so schnell!

Liebe Grüße
Leona